Da kam mir in den letzten Tagen so ein Gedanke: Ist das Shoppen im Internet vergleichbar mit der Idee des Pariser Kaufhauses in der Mitte des 19. Jahrhunderts?
Das Kaufhaus veränderte die Lebenswelten vieler Frauen. In diesem geschützten Raum konnten sie ohne die gesellschaftlich verordnete männliche Begleitung unbeobachtet umher wandeln, sich treiben lassen durch die perfekt präsentierte Warenwelt. Ohne Kaufzwang, mit Preisschildern an der Ware, Beratung nur, wenn sie gewünscht wird, zwischendurch den Teesalon besuchen. Die Waren weckten Begierden, denen gerne nachgegeben wurde. Kauf mich! Werde glücklich! Shoppen nicht zur notwendigen Bedarfsdeckung, sondern als lustvoller Zeitvertreib. Dieser Akt des Einkaufens war natürlich auch ein Statement der Selbstbestimmung: Entscheidungen wurden ohne männliche Zustimmung getroffen. Die geniale Idee des Konzepts bestand in der Transformierung des Einkaufens weg von der Notwendigkeit hin zur Freizeitgestaltung. Natürlich war es praktisch, alles an einem Ort unter einem Dach zu finden, das gab es jedoch bereits in den überdachten Passagen, die Läden verschiedenster Art zusammenfassten. Der entscheidende Unterschied, der den Warenhandel revolutionierte, war der Blick auf den Kunden, vielmehr die Kundin: Sie war die Königin, alles war im Warenhaus darauf ausgerichtet, ihren Bedürfnissen zu entsprechen. Zur Belohnung beglückten die Damen die Kaufhäuser mit fleißigem Einkauf.
Der Aufstieg und der Erfolg der großen Kaufhäuser hat den Handel grundlegend verändert. Hat das heutige Einkaufen im Internet einen ähnlichen Einfluss?
Die Innenstädte sind geprägt von standardisierten Angeboten, es ist voll und laut. Alternativ können wir große Märkte auf der grünen Wiese aufsuchen, auch nicht angenehm. Beim Einkaufen im Internet aber schlendern wir durch die virtuellen Shops dieser Welt, schauen hier und da, was gefällt, wird in den Einkaufskorb geklickt. Wir beginnen mit der konkreten Suche nach irgendetwas und enden beim Surfen von einem Shop zum anderen. Leichtigkeit und Unverbindlichkeit. Eine Tasse Tee dazu? Aber gerne! Wir bekommen alles zu jeder Zeit bequem ins Haus geliefert. In dieser Hinsicht sind beide – Kaufhaus und Internetshoppen – durchaus vergleichbar. Das sich Verlieren in den Weiten des Netzes entspricht dem sich Verlieren in den Etagen des Kaufhauses. Nur noch mal zur Erinnerung: Es geht nicht um die heutigen Kaufhäuser der Fußgängerzonen, ich meine die Pioniere dieser Handelsgattung wie „Le Bon Marché“, von dem Emile Zola so fasziniert war, dass er es zum Schauplatz seines Romans „Au Bonheur des Dames“ (=Das Paradies der Damen) machte.
Ja, das Einkaufen im Internet beeinflusst den Warenhandel im 21. Jahrhundert, wie im 19. Jahrhundert das Kaufhaus die Handelsstruktur grundlegend änderte. Ein Thema, das genauer untersucht werden sollte. Oder hat das schon jemand getan?
Was mir dennoch online fehlt, ist der sinnliche Aspekt, zumindest bei den schönen Dingen des Seins: Sehen, Fühlen, Riechen. Ich bin keine Shoppingqueen, wirklich nicht. Aber in schöner Umgebung schöne Sachen erleben und vielleicht kaufen, das mag ich. Dieses Manko des Internetshopping lässt sich nicht wegdiskutieren. Im heutigen Kaufhaus finde ich dies erst recht nicht. Concept Stores, Kaufhäuser im Miniformat mit erlesenem Warenangebot versuchen eine Wiederbelebung der alten Idee. Und es gibt ja noch die kleinen Läden in den Digital Bohème Quartieren unserer Städte.
By the way: Walter Benjamin, Das Passagen-Werk. Ekelhaft zu lesen, aber großartig und wichtig